Stimmungsvoller Abend als Wohltat für die sozialdemokratische Seele
Sie sollte ein weiterer Beitrag zur Pflege der Erinnerungskultur im Ortsverein werden: die Feier des Geburtstags der SPD exakt 160 Jahre und drei Tage nach ihrer Gründung durch Ferdinand Lasalle und die Erwartungen der Gäste im Georg-Bickel-Haus wurden mehr als erfüllt. Die Referenten Herbert Bangert und Professor Gert Weisskirchen sowie Liedermacher Uli Valnion sorgten für eine Wohltat für die sozialdemokratische Seele und Ortsvereinsvorsitzende Vanessa Bausch geriet in ihrem Schlusswort geradezu ins Schwärmen: „Wir haben heute drei tolle Männer der Sozialdemokratie erlebt“, stellte sie unter stürmischem Schlussapplaus fest.
Nach dem Eröffnungslied „Die Gedanken sind frei“ oblagen Begrüßung und Einführung dem Initiator und Organisator der Veranstaltung, dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft 60plus, Herbert Bangert, der sich über die Anwesenheit seines Weinheimer Kollegen Hans-Georg-Junginger und einiger Gemeinderäte freute und zunächst auf die Bedeutung des Eingangliedes einging, das die Geschichte Deutschlands in den letzten beiden Jahrhunderten begleitet habe und auch ganz besonders für ein weiteres in diesem Jahr zu feierndes Jubiläum stehe: 175 Jahre Revolution. Bangert erinnerte an das Hambacher Fest 1832, aber auch an 1948, als nach der legendären Rede des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter, mit der er an die Völker der Welt appellierte, auf seine Stadt zu sehen und sie nicht preiszugeben, spontan 300.000 Berliner „Die Gedanken sind frei“ anstimmten.
1863 habe dann mit der Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ die Geschichte der organisierten Arbeiterbewegung begonnen. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, so laute das Motto auf der Traditionsfahne und diese drei Werte bestimmten bis heute den politischen Kompass der Partei. Bangert erinnerte an Höhen und Tiefen, an Verfolgungen und Anfeindungen der 160-jährigen Geschichte und bedauerte, dass man den Geburtstag in Zeiten eines Krieges in Europa feiern müsse, wobei man auf ein baldiges Ende am Verhandlungstisch hoffe. Er denke dabei an zwei Zitate von Willy Brandt, der 1981 ausgeführt habe „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts“ und bereits zehn Jahre zuvor habe er den Krieg als „ultima irratio“ bezeichnet, die sich leider einmal mehr durchgesetzt habe. Bangert schloss mit einem Blick auf den eigenen Ortsverein, der seit 122 Jahren ein kleines, aber lebendiges und funktionierendes Glied in der großen Solidargemeinschaft SPD darstelle und gab ihm und Partei insgesamt das Vermächtnis Brandts kurz vor dessen Tod 1992 („Nichts kommt von selbst…“) mit auf den weiteren Weg.
Professor Gert Weisskirchen, langjähriger Bundestagsabgeordneter und Kreisvorsitzender, würdigte die SPD zunächst als jene politische Bewegung, die immer die arbeitende Bevölkerung vertreten habe. Von den 160 zurückgelegten Jahren habe sie 67 Jahre in Unterdrückung und Verfolgung und 93 Jahre in Frieden gelebt, wobei auch die Friedenszeiten teilweise beschwerlich gewesen seien, so Weisskirchen mit Blick auf die ersten Jahre der Weimarer Republik. Er griff die Rede des Vorsitzenden Otto Wels bei der Debatte über das „Ermächtigungsgesetz“ 1933 auf, als dieser ausführte „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“. Dieser Satz strahle über der Sozialdemokratie, mache sie stolz. Weisskirchen sah die SPD als Kind derer, die 1848/49 versucht hätten, eine Revolution durchzusetzen. Man habe sich in der gesamten Geschichte bemüht, die gesellschaftlichen Verhältnisse anzunehmen und in politisches Handeln zu übersetzen. Dabei habe man auch Fehler gemacht. So habe die Spaltung der Arbeiterbewegung dazu beigetragen, dass Adolf Hitler erfolgreich werden konnte. Weisskirchen erinnerte an den Heidelberger Parteitag 1925, wo man die Vision formuliert habe, die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu schaffen. „Wäre dies Realität geworden, wäre Hitler vielleicht vermeidbar gewesen“, so Weisskirchen.
Er halte in der Politik die Breitschaft nachzudenken und zu überlegen für unverzichtbar. Entscheidungen sollten erst nach sorgsamer Abwägung und Selbstreflexion getroffen werden. Dies gelte auch für die Gestaltung der notwendigen sozialökologischen Transformation. In dieser existentiellen Frage müsse man die Menschen einbeziehen und die mit dem Prozess verbundenen Schmerzen lindern. Als weiteres großes Zukunftsproblem schilderte Weisskirchen die zunehmende Kluft zwischen reich und arm und mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die formulierte „Zeitenwende“ erinnerte er an die drei Grundgedanken der Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr: Gewaltverzicht, keine Verschiebung von Grenzen und Schaffung einer gemeinsamen Ordnung. Es gelte, eine neue Friedensordnung zu entwickeln und weiterhin für Freiheit, Gleichheit und Brüder(Schwester)lichkeit zu kämpfen, so Weisskirchen abschließend.
Mit seinen Freiheits- und Arbeiterliedern schlug anschließend der Pfälzer Liedermacher mit Stimme und Gitarre in großartiger Manier einen Bogen von der Revolution bis in die Moderne, wobei er stets den historischen Hintergrund seiner Liedvorträge erläuterte. So erinnerte er an den Aufstand der schlesischen Weber und das bekannte Revolutionslied „Trotz alledem“. Das bekannte „Bet und Arbeit“ habe Georg Herwegh 1863 auf Wunsch des SPD-Gründers Ferdinand Lasalle geschrieben. Die „Internationale“ und das 1907 entstandene Lied der Arbeiterjugend „Dem Morgenrot entgegen“ folgten, ehe bei „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ der emotionalste Teil des Abend anstand, als nicht nur kräftig mit eingestimmt wurde, sondern sich alle Anwesenden erhoben und sich die Hände reichten. Das 1918 als Spottlied auf Kaiser Wilhelm komponierte „Wem ham se de Krone geklaut“, das 1934 von Brecht geschaffene Lied „die Einheitsfront“ und das im Konzentrationslager entstandene „Lied der Moorsoldaten“ leiteten über zu dem romantischen „Bella Ciao“. Mit den Zugaben „Der 8. Mai“ und „Sag mir, wo die Blumen sind“ erinnerte Valnion an seinen gemeinsamen Auftritt mit Pete Seeger und schließlich intonierte man zum Abschluss stimmgewaltig gemeinsam „Wann wir schreiten“ und setzte damit einen weiteren bewegenden Schlusspunkt.